BenBE's humble thoughts Thoughts the world doesn't need yet …

25.10.2009

Ich bin irrelevant

Filed under: Politik und Philosophie — Schlagwörter: , , , , , , , , — BenBE @ 13:35:04

Ich bin irrelevant … genauso wie 99% aller Deutschen – zumindest, wenn es nach den Relevanzkriterien der deutschen Wikipedia geht. Doch warum komme ich da grad drauf, wo doch selbst Wikipedia irrelevant ist.

Aber gut, alles der Reihe nach. Zuerst sollte man sich jedoch etwas Popcorn organisieren, da dieses Netzrülpsen von Bürokraten bei der Wikipedia nicht einer gewissen Ironie entbehrt, hat sich die Wikipedia doch zur Aufgabe gestellt, das Wissen der Welt zu bewahren. Das massenweise Löschen von Artikeln ist dafür geradezu das ideale Mittel. Zumindest, wenn es nach dem Willen einiger Admins geht. So wurden in den letzten Tagen und Wochen mehrfach Artikel zu insbesondere im Internet bekannten, bzw. aus Bewegungen, die aus dem Internet hervorgegangen sind, gelöscht. Stein des Anstoßes bildete hierbei die Löschung des Artikels zu MOGIS (Missbrauchsopfer gegen Internetsperren), einem Verein, der auf Grund „fehlender Sekundärquellen zur Mitgliederzahl“ als nicht relevant eingestuft wurde. Wobei das Relevanz-Kriterium eine Aussage über den Inhalt, statt der Bedeutung, macht. Kaum zu erwähnen in diesem Zusammenhang, ist da schon die fehlende Primärquelle der Mitgliederzahl des CCC. Wer möchte auch schon als Primärquelle herhalten müssen? Bei so viel Bürokratie verwundert dann auch die Löschung zahlreicher anderer Organisationen mit unklarer Relevanz nicht. Gelle? Wer braucht schon den AK Vorrat oder gar AK Zensur? Ach ja: Zensursula hat es auch nie gegeben!

Dass die Regale voll waren, kann man bei der Arbeitsweise der Wikipedia und der Verfügbarkeit aktueller eBook-Reader jedenfalls nicht bestätigen. Zumal bei einer Enzyklopädie nicht der durchschnittliche Wissensgehalt, sondern die absolute Wissensmenge ein Qualitätsmerkmal ist.

So sollte also jeder seine Frage an Wikipedia stellen können, da es keine irrelevanten Fragen gibt. Und auch für das Lösen der Hausaufgaben bietet Wikipedia einen reichhaltigen Schatz an Informationen. Ach nein, das war mal.

Der Löschwahn zumindest bei Wikipedia nimmt dermaßen Überhand, dass viele potenzielle Helfer von vornherein abgeschreckt werden. Der Traum einer frei von jedermann bearbeitbaren Enzyklopädie, bei der Wissen zusammengetragen wird, ist zumindest spätestens seit Jimmy Wales Geschichte. Und auch die vielen möglichen Chancen für Besserung werden mehr oder weniger ignoriert?

Warum auch etwas ändern? Denn: Streithähne gibt es nicht. Und so entwickelt sich die einstmals so erfolgversprechende Idee der Wikipedia immer weiter hin zu einer Diktatur der Bürokraten. Das dabei ein rechtsfreier Raum Wikipedia entsteht, scheint die Akteure in dieser Komödie nicht weiter zu stören. Die Tragödie haben wir ja bereits: Den Verlust nicht nur von Wissen, sondern auch Engagement für ein Projekt, dass seinen Zielen nicht gerecht werden will.

Wer einmal einen Blick über den Tellerrand der deutschen Wikipedia wirft und in der englischen Ausgabe aufschlägt, der wird an vielen Stellen eine ganze Reihe von Unterschieden feststellen. Während in der deutschen Wikipedia viele Artikel kurz gehalten sind (was gibt es auch schon relevantes zu einem Thema zu sagen?), wird man in der englischen Ausgabe nahezu von Artikeln zu einem Thema erschlagen. Insbesondere bei Filmen oder Serien sind die Unterschiede kaum Verkennbar: Ein deutscher Artikel zu einer Serie umfasst oftmals nur Links zu direkten Darstellern, während man detaillierte Informationen zu Charakteren der Serie oftmals leidlich vermisst. Vergleicht man diese magere Ausbeute hingegen mit dem gleichen Artikel in der englischen Version, so sind nicht nur alle Personen mit einer Kurzbeschreibung versehen, sondern oftmals mit ihrem eigenen Artikel repräsentiert, der eine ganze Reihe weiterer Details und Hintergründe bietet. Ganz zu schweigen von weiterführenden Referenzen, Beschreibung einzelner Folgen und anderer Informationen im Zusammenhang des gewünschten Begriffs.

Nun ist es zwar nicht für jeden Blick in ein Lexikon notwendig, dass man nur um zu erfahren, wer jemand war, dessen gesamte Biographie vorgesetzt bekommt, oder man für einen Mathematischen Begriff die Herleitung aus den Axiomen dargestellt wird, aber auch hier bietet die englische Wikipedia für jeden das richtige Maß.

Auf das Thema Quellennachweise sollte man in der deutschen Wikipedia hingegen nicht weiter eingehen, denn eine Einstellung der Form „nur totes Holz lebt bei uns“ muss man nicht unterstützen, genausowenig, wie man die Nachweispflicht ganz abschaffen sollte. Aber ein Online-Medium, dass jegliche Online-Quellen ignoriert, verspielt seine Innovationskraft doch erheblich. Statt also eine Totholz-Enzyklopädie zu digitalisieren, sollte die Wikipedia überlegen, wie sich die Möglichkeiten des Webs, dessen Informationsquellen wie Blogs, Foren und Mailinglisten, sowie die zahlreichen Nutzer besser zusammenbringen lassen, um wieder in dem Jahrtausend anzukommen, das man sich selber als Zielsetzung gesetzt hat. Die Entkernung der mehr als angestaubten und durchbürokratisierten Regeln wäre da nur ein kleiner Schritt in Richtung Zukunft.

Und dabei würde dies nicht nur die Arbeit der zahlreichen freiwilligen Helfer erleichtern, sondern vielmehr insgesamt die Einstiegshürde für spontane Mitwirkungen herabsetzen, von denen die Wikipedia im Endeffekt lebt. Denn niemand hat Lust, wegen eines korrigierten Rechtschreibfehlers vor ein Tribunal gestellt zu werden. Genausowenig, wie es zweckmäßig ist, fehlende Angaben oder Quellen dadurch zu kompensieren, dass man die zugehörige Information ganz entfernt, statt eine Quelle zu suchen, oder anderweitig nachzubessern. Ohne Veränderungen in der täglichen Praxis kommt man auf lange sicht einfach nicht weiter.

Eine Möglichkeit für drastische Änderungen bietet sich demnächst bei der nächsten Wahl der Administratoren. Die Wikipedia täte hier gut daran, den derzeit bestehenden Bedenken entschieden entgegenzuwirken und auch sonst die anstehenden Herausforderungen ernst zu nehmen und eine Lösung anzustreben. Das Löschen von Inhalten ist jedenfalls keine Lösung und widerstrebt sogar den selbstauferlegten Zielen gewaltig.

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Ein Kommentar »

  1. Wie auch die Stupidedia ihre Administratoren so treffend als „Diktatoren“ tituliert. Wobei die Ironie im Grunde genommen ist, dass die Diktatoren der Stupidedia weniger solche sind als die Administratoren der Wikipedia.

    Kommentar by Finn Ole — 25.10.2009 @ 20:38:31

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