Die aktuelle technische Entwicklung scheint inzwischen einen Stand erreicht zu haben, mit dem es uns ermöglicht wird, unsere Sinne nicht nur zu ergänzen, um bisher unsichtbares sichtbar zu machen oder die uns auferlegten Schranken zu durchdringen, sondern vielmehr diese Möglichkeiten in unserem Leben zu integrieren. Waren früher Geräte wie der Fotoapparat, das Radio oder die Elektronenrähre reine Ergänzungen stellen sie auf heutigem Niveau in Form von Mobiltelefonen und anderen Geräten wertvolle Erweiterungen unserer Sinne dar.
Und dabei ist ihre Wirkung nicht allein dadurch ausgedrückt, dass sie unseren Sinnen zusätzliche Informationen bereitstellen, sondern ihre Leistung liegt in der effizienten Vernetzung der Umwelt mit den Daten einer bis dato rein virtuellen Welt: Sie erfüllen die Visionen vieler Pioniere des Internets, die aus einem reinen Datennetz ein eng in unser Leben integriertes Umfeld erschaffen wollten. Diese Verbindung aus virtueller und realer Welt scheint mit der heutigen Technologie in greifbare Nähe gerückt.
Denn mochte man früher vom „Internet der Dinge“ nur träumen, oder gar den verwegenen Traum haben, einen Computer einmal allein mit seinen Gedanken steuern zu können, so sind beides Ideen, die mit unserer heutigen Technik – zwar nicht vollständig, aber zu einem guten Teil – bereits möglich sind. Allein durch seine Gedanken Pong zu spielen war bereits vor Jahren möglich und mit unserem aktuellen Verständnis für unser Gehirn schreiten wir immer weiter in eine Richtung, mit der wir Maschinen nicht mehr allein als Werkzeuge, sondern als Teil unseres Körpers betrachten können; und dies nicht allein, um verlorengegangene Gliedmaßen mit Hilfe von immer intelligenteren Protesen zu ersetzen. Und wenn man der aktuellen Forschung glauben mag, stört unseren Körper eine solche Ergänzung nicht einmal; ja, er ist geradezu aufgeschlossen und lernbereit. Entsprechende Scherze scheinen daher gar nicht soweit hergeholt.
Aber es braucht nicht zwingend die implantierte Technik zu sein, wenn es um’s Lernen geht. In immer mehr Bereichen wird versucht, durch Assistenzsysteme eine Verbindung aus der Siliziumwelt zurück zum Menschen zu gewinnen. Was also vielerorts als Spielerei im aktuellsten Überlebensstrategie-Spiel verschrien ist, kann in Forschung und Lehre durchaus nützliche Dienste leisten, wenn es darum geht, künftigen Generationen unser Wissen zu vermitteln oder ihnen beim Ausführen ihrer Tätigkeit zu helfen. Daher ist der Einsatz von Augmented Reality in der Medizin durchaus konsequent.
Aber auch wenn es um die Wahrnehmung unserer Umwelt geht, gewinnt Augmented Reality immer mehr an Bedeutung. So ist es nicht wirklich verwunderlich, dass Aufgaben, die vielen Menschen Probleme bereiten, durch Technologie gelöst werden. Was dabei als Seltsame Idee in einem Anime anfängt, ist durchaus bereits Realität: Personenidentifikation ist längst, auf Grund der riesigen Datenberge, die wir ständig im Internet und dabei insbesondere insozialen Netzen hinterlassen, keine Frage der Technik mehr, sondern vielmehr der richtigen Gliederung der Informationen.
Waren früher die Gestaltung und das Design mehr oder minder auf die Welt im Rechner beschränkt, fällt so langsam auch diese Schranke. Unsere Technik erlaubt es in bisher ungeahnter Weise die in uns schlummernde Kreativität zu wecken und bietet uns zudem die Werkzeuge, um mit ihr diese von der Erstellung in einem virtuellen Raum auch in die Realität zu transportieren.
Aber bis dahin wird eine gewisse Zeit eher der Weg der Realität hinein in die durch unsere Technik erschaffene Welt die bestimmende Richtung im Umgang mit unseren Möglichkeiten sein. Allein wir sind planlos und suchen Hilfe. Hilfe, die wir uns selber geschaffen haben. Irren wir von einem Ort zum andren, ersetzen wir immer häufiger die alte Karte auf Papier durch sein virtuelles Pendant und lassen uns leiten. Denn diese Karte kann mehr: Die Zeiten, als eine Karte eine reine Projektion der Realität war, um sich zu orientieren sind vorbei. Es geht immer mehr um die Verschmelzung der Sinne zwischen Technik und unserer Umgebung – auch wenn zu weilen noch Schranken vorhanden sein mögen.
Je mehr diese Schranken jedoch fallen, desto vorsichtiger sollte man im Umgang mit der Technik sein. Was oberflächlich aussehen mag, wie ein Spiel technikverliebter Kinder, kann unter der Oberfläche bisher ungeahnte Gefahren aufweisen. Je mehr wir unsere Realität mit der Technik, die uns tagtäglich umgibt verknüpfen, desto enger werden auch unsere Bindungen an die Technik. Bereits durch die Nutzung des Internets entstehen ständig Fragmente unseres Selbst, die allein vielleicht unscheinbar, in ihrer Kombination aber durchaus seltsame Organismen hervorbringen können. Im Endeffekt bleibt weniger die Frage, welcher Teil unseres Ichs der Bestimmende bleibt, bzw. wann wir uns von unserem physischen Körper lösen. Spätestens aber, seit dem auch Computer sehen können, sei es mit Webcams oder dem angeschlossenen Monitor, ist ein Rückkanal geschaffen, der uns selbst diesen Weg ebnet.
So phantastisch dies alles aber auch klingt, kann es doch über eines nicht hinwegtäuschen: Die Entscheidung im Umgang mit dieser Technik müssen im Endeffekt wir treffen. Diese Entscheidung muss bewusst und sorgfältig getroffen sein, da wir ansonsten den Totalverlust unserer Autonomie als lebende Wesen an die von uns erschaffene Technik verlieren: Das Leben mit der Technik stellt in vielen Bereichen einen wichtigen Fortschritt in unserer Entwicklung dar, sollte sich dieser jedoch zu einem Leben für die Technik verkehren, stellt dies einen gewaltigen Rückschritt dar, der mit einem Schlag unsere Errungenschaften auslöschen kann.
Solange wir uns daher über die Frage der Kontrolle nicht einig sind, sollten wir Vorsicht walten lassen; denn es geht weniger darum, ob wir den Fortschritt wollen, sondern in welcher Form wir uns darauf einlassen wollen: Möchten wir diese Technik als Unterstützung für unsere Imperfektion, oder möchten wir zu dieser Technik werden – als lebende Geister in kalte Elektronik gegossen.
Eines dürfte sich aber bereits jetzt abzeichnen: egal, wie wir es drehen oder wenden: Solange wir die Technik dazu nutzen, um immer größere Informationsberge in immer kürzerer Zeit zu bewältigen, werden wir unweigerlich ab einen gewissen Punkt an unsere Leistungsgrenzen stoßen. Nicht allein, dass wir immer stärker unser Leben beschleunigen, im Endeffekt arbeiten wir – bewusst oder unbewusst – auf die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit zu. Jedes System – sei es biologischer oder technischer Natur – besitzt diese Grenzen; und unsere Grenzen liegen vor uns ausgebreitet – eröffnet durch unseren Forschungsdrang, sie doch irgendwo zu überschreiten.
Je mehr Informationen wir uns versuchen anzueignen, desto weniger davon werden wir effektiv verarbeiten: Der Mensch ist nicht für Multitasking geeignet, aber dennoch versuchen wir mit vielen heutigen Ansätzen genau das. Wir schaffen uns eine Informationsflut, weil wir gerade eine solche bekämpfen wollten. Solange wir hier nicht gegensteuern und sinnvolle Schnittstellen schaffen, werden wir auch weiterhin nur begrenzt Nutzen aus dieser doch extrem spannenden Entwicklung ziehen können.
Und so bleiben wir doch am Ende wieder zurückgeworfen auf unsere Visionen.