Dass sich die Medienlandschaft ständig ändert, ist nicht erst seit den letzten Jahren sichtbar, sondern war eigentlich immer der Fall, wenn neue technische Möglichkeiten danach gesucht haben, effektiv genutzt zu werden. Als eine der neusten Errungenschaften wird zwar hierbei oft das Internet ausgemacht, jedoch bietet dieses nichts per se Neues, sondern lediglich einen neuen Kanal, um Medien zu verbreiten und somit über die klassischen, meist physisch gebundenen Verbreitungsformen hinaus neue Nutzungsarten zu erschließen.
Betrachtet man diese Entwicklung einmal über einen längeren Zeitraum, so fällt nicht nur die stetige Veränderung der Technik auf, sondern auch die Art, wie mit dieser umgegangen wird. Was früher durchaus normal erschien, stellt sich oftmals im Nachhinein als historischer Unfall heraus: Viele Umgangsformen sind im Wesentlichen durch unsere technischen Möglichkeiten erzwungen und verschwinden, wenn sich die Technik weiterentwickelt.
Aber nicht nur die Technik, mit deren Hilfe in der Gesellschaft kommunikation stattfindet wandelt sich, sondern auch deren Nutzung, was das Web für manche wie den wilden Westen erscheinen lässt. Wer diese Möglichkeiten nutzt und dabei anderen an ihrer Ehre kratzt, oder einfach sich nichts vorschreiben lassen will, wird dann gern mal mundtot gemacht. Wenn durch die Kultivierung der Publikationsmöglichkeiten plötzlich jeder zum Sender wird – in Konkurrenz zu den etablierten Medien wie Zeitung, Radio und Fernsehen -, so ist ein Wandel unvermeidbar. Wie dieser aussehen wird, ist im Detail offen, da Vieles auch davon abhängt, wie diese neuen Möglichkeiten von jedem Einzelnen angenommen werden, aber bereits jetzt ist absehbar, dass mit dem Web ein weiteres Medium entstanden ist, dass sehr viel Potential für tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft besitzt.
Und sei es, dass erst mit Hilfe des Internets, dem großen Bruder des Web, ein freier Informationsaustausch möglich wird, der hilf, Zensur zu umgehen. Es gibt nicht mehr den zentralen Sender – die Zeitung, das Radio, das Fernsehen – die zentral kontrolliert werden können. Jeder ist Sender und Empfänger zugleich. Aus einem klassischen Broadcast des Staates ist Bittorrent für Jedermann geworden. Die Berichterstattung ist redundant geworden: Fehlt bei einer Quelle eine Angabe, so findet man sie in einer weiteren. Wer sich informieren will, bekommt die Möglichkeit, dies auch zu tun.
Es ist ein Wegfall klassischer staatlicher Kontrollmöglichkeiten: Konnte der Staat früher durch die Kontrolle der Informationen, die Jedermann erfuhr bestimmen, wie sich die Meinung in der Gesellschaft entwickelte, fällt diese aktive Komponente der gesellschaftlichen Steuerung immer weiter aus der Hand. Neuigkeiten erreichen inzwischen die Massen bevor die klassischen Redaktionen auch nur eine Chance zur Analyse der Situation hatten. Passiert irgendwo etwas, so ist man – Interesse und die nötigen Filter vorausgesetzt – quasi in Echtzeit darüber im Bilde.
Vorgänge in der Gesellschaft sind für jeden, der sie sehen möchte inzwischen transparent geworden. Und die einzige Weigerung dagegen bilden die alten Institutionen, die durch diese Offenlegung der Zusammenhänge einen Gesichtsverlust befürchten, oder deren Geschäftsmodell zur Disposition steht, da es auf Grund der wegfallenden Sachzwänge obsolet geworden ist.
Aber Transparenz birgt auch Probleme: Wenn jeder immer alles mitbekommt, erstickt der Einzelne in der schieren Informationsflut. Wenn alles nur noch transparent ist, erkennt man am Ende dennoch kein Gesamtbild. Es bedarf einfach Filtern, die die Transparenz wieder in ein erkennbares, klares Bild verwandeln. Und genau diese Filter sind es auch, die den etablierten Medien und Institutionen Angst machen, da jeder Filter sein kann und sie somit selber in der Bedeutungslosigkeit versinken, wenn kein Umdenken stattfindet.
Das klassische Finanzierungsmodell funktioniert in einer solchen Umgebung nicht mehr. Es gibt nicht mehr wenige zentrale Gatekeeper – Informationszollstationen -, sondern viele unabhängige kleine Sendestationen, die jede für sich ihr Auskommen sichern wollen. Und das gerade in einer Zeit, in der der technische Fortschritt zigfach bestehende Einschränkungen aufhebt. Es gilt nicht mehr der Wert des Transportmediums als Wert einer Information, sondern deren Nutzen für den Empfänger. Nicht mehr der Sender entscheidet über seine Einnahmen, sondern seine Rezipienten. Die Bezahlung von Informationen verlagert sich nach deren Konsum und gewähren somit dem Empfänger die Möglichkeit, zu entscheiden, welche Informationen es ihm wert sind, belohnt zu werden.
Und genau hier setzen zahlreiche „Social Payment“ Services an: Man schafft eine Möglichkeit, dass jeder Nutzer selber entscheiden kann, für welche Leistungen er Geld ausgibt. Gibt es also einen Interpreten, der gute Musik macht, so kann man diesem direkt – unter Umgehung der klassischen Vertriebswege – einen Gegenwert bieten; liefert jemand Hintergrundinformationen zu einem Thema, kann man ihm auch diese Arbeit entlohnen. Auf diese Weise wird gefördert, dass jeder Sender auf direktem Wege für seine Arbeit belohnt wird.
Eines dieser Systeme – neben zahlreichen anderen wie Kachingle – ist Flattr. Während die Idee hinter allen Systemen im wesentlichen die gleiche ist (Man zahlt einen gewissen Betrag ein, der in regelmäßigen Abständen auf die gewünschten Sender verteilt wird), bietet Flattr eine relativ einfache Nutzung an, und ist auch sonst recht schlank gehalten. Dennoch sollte man sich aber der zahlreichen Kritikpunkte bewusst sein.
So hat Flattr einen relativ hohen Eigenbehalt bei eingezahltem Geld (etwa 10% sind Verwaltungskosten, die nicht zur Auszahlung kommen), was u.a. an den genutzten Transaktionsmethoden (via Paypal bzw. Moneybookers) liegt. Aber auch die Verrechnung der Einnahmen ist nicht ohne Probleme, da solche Einnahmen als Spenden gelten. Auch der Status einer „Privatseite“ ist mit solchen Diensten nicht mehr haltbar. Zusätzlich kommen eine Reihe von Datenschutzaspekten dazu, die die Abwägung nicht ganz ohne Komplikationen machen. Wenn man aber bedenkt, dass dies im Wesentlichen die gleichen Probleme wie mit dem Betrieb einer Internetpräsenz allgemein sind, so relativiert sich die Problematik wieder.
Unabhängig davon, wie ein Service im Endeffekt funktioniert, sollte man sich jedoch auch immer anschauen, ob er die eigenen Erwartungen erfüllt. Viele, oft nur kurzzeitige Nutzer, beklagen sich immer darüber, dass derartige Dienste Boullevard-Journalismus und die Party-Bilder von letzter Woche finanziert werden, befasst man sich jedoch etwas längerfristig mit der Thematik und geht unvoreingenommen an die Einschätzung findet man durchaus auch interessante Dinge, auf die man sonst nicht aufmerksam geworden wäre.
Wenn also der Vorwurf kommt, Leute, die diese Dienste nutzen, betteln um Einnahmen, damit Sie ihre Hostingkosten gedeckt bekommen, so mag das durchaus auf einige zutreffen; es gibt jedoch genug anderen Content, der durchaus spannend ist und auf seine Entdeckung wartet. Flattr sollte man weniger als Bezahldienst, als viel mehr als eine Möglichkeit auffassen, für Content, der einem gefällt, zu spenden. Wenn ein Straßenmusiker gute Musik spielt oder die Performance gelungen ist, gibt man auch sonst freiwillig für die dargebotene Leistung.
Eine Reihe von OpenSource-Projekten haben dies bereits verstanden und bietet bereits Flattr als eine der Möglichkeiten zum Spenden für diese Projekte an. Eine interessante Sammlung bietet hierfür Raphaël Hertzog in seinem Blog unter der Überschrift Flattr for FOSS. Die Vorschläge für September und Oktober klingen alle samt recht interessant und decken sich im Wesentlichen mit dem Gedanken, was ich mir auch sonst bei Flattr wünsche.
Wer also immer nur über neue Technik meckert, ohne ein gewisses Maß an Offenheit mitzubringen, wird sich schnell abgehängt sehen. Und auch wenn ich nicht gerade auf jeden Zug aufspringe, ist eine gewisse Risikobereitschaft einfach für Veränderung notwendig. Die Chancen, diese Veränderungen umzusetzen bieten sich derzeit und sollten nicht ungenutzt am Rande liegengelassen werden.
Ich will nicht wissen wie viele Menschen jetzt vor dieser Seite sitzen und sagen, WOW !
Kommentar by Ralf Breitenfeldt — 25.10.2010 @ 16:42:51